Lohnende
Investition
Langsam
taucht der Kriegsplan von US-Präsident George W. Bush aus dickem Nebel auf. Zunächst
hörte es sich so an, als sei es eine Sammlung von verschwommenen Slogans,
aber
allmählich wird deutlich, daß hinter diesen klare Ziele versteckt sind. Der
Plan ist nicht mit dem berühmten »Krieg gegen den Terrorismus« verknüpft,
nicht mit der Person von Sad-dam Hussein oder mit den Massenvernichtungswaffen,
die der Irak produziert wie alle andern Staaten der Region, von Pakistan bis
Israel und Ägypten.
Kritiker
der Kriegspläne – mich eingeschlossen – haben auf die verheerenden
politischen Folgen hingewiesen, die zu erwarten sind. Der Irak würde in drei
Teile zerbrechen: den kurdischen Teil im Norden, den sunnitischen in der Mitte
und den schiitischen im Süden. Der Nahe Osten wäre dem Angriff des iranischen
Fanatismus ausgesetzt, die prowestlichen arabischen Regimes würden
zusammenbrechen. Israel würde von aggressiven islamischen Fundamentalisten
umgeben sein. Diese Einschätzung beruht auf einer Annahme, die eine Zeit lang Gültigkeit
hatte: Die Vereinigten Staaten sind nicht bereit, ein großes Truppenkontingent
in weit entfernten Ländern zu stationieren. Dies würde bedeuten, daß nach der
Eroberung des Irak die Truppen wieder zurückkehren würden, und der Irak seinem
Schicksal
überlassen
bliebe. Aber es ist gut möglich, daß diese Annahme nun nicht mehr gültig ist.
Der
Kriegsplan von Bush & Co. hat nur dann Sinn, falls die US-Führung nicht nur
für eine Besatzung des Irak bereit ist – sondern sie geradezu verlangt, um
viele, viele Jahre lang dort zu bleiben. Solch eine Besatzung benötigt große
Investitionen an Truppen und Ressourcen. Große militärische Kräfte sind so für
eine lange Zeit gefordert. Genau deshalb sind die amerikanischen Generäle
(einschließlich des Außenministers General Colin Powell) gegen diesen Plan.
Aber in den Augen von Bush und seinen Beratern ist es eine lohnende Investition,
die riesige Gewinne liefern würde:
![]() | Das Hauptziel der
amerikanischen Wirtschaft (und darum der amerikanischen Politik) ist das Öl
des Kaspischen Meeres. Dessen Kontrolle ist für Amerika die Garantie, in
den näch-sten Jahrzehnten billige Brennstoffe zu haben. Auf seinem Weg zum
Weltmarkt muß das Öl zunächst die Meeresküste erreichen. Da gibt es
mehrere mögliche Routen: über Afghanistan und Pakistan oder die Türkei.
Der Irak liegt nahe an all diesen Ländern. Die amerikanischen Luft- und
Bodentruppen, die dort stationiert sind, werden die amerikanische Herrschaft
über die ganze Region garantieren. |
![]() | Die Existenz einer
sicheren amerikanischen Basis mitten in der arabischen Welt wird Amerika befähigen,
alle arabischen Regierungen einzuschüchtern, damit sie nicht vom geraden
Weg abkommen. Der Druck auf Saudi-Arabien wird enorm sein. Nicht nur, daß
die amerikanischen Basen in Saudi-Arabien überflüssig werden – durch das
Manipulieren der Ölpreise könnte Amerika das Königreich auch an den Rand
des Bankrotts bringen. |
![]() | Die neue Situation würde
schließlich die OPEC zerbrechen. Washington wird über den Preis des Öls
entscheiden und wie es verteilt wird. |
![]() | Und diese Konstellation
wird die letzten Reste arabischer Unabhängigkeit zerstören. Selbst heute
sind schon fast alle arabischen Länder von Amerika abhängig. Eine massive
physische Präsenz Amerikas in ihrer Mitte wird jeglicher Vortäuschung von
arabischer Macht und Einheit ein Ende setzen. |
![]() | Dem benachbarten Iran
wird der Wille, dem amerikanischen großen Satan zu widerstehen, vergehen.
Denn der Iran würde von beiden Seiten durch amerikanische Basen bedroht, in
Afghanistan und dem Irak. |
Wie
wird die Besatzung funktionieren? Wenn Amerikaner an Besatzung denken, vertrauen
sie auf ihre Erfahrungen in Japan. Nach der japanischen Kapitulation regierte
dort ein amerikanischer General, Douglas McArthur, ohne Einschränkungen. Die
Japaner gehorchten ergeben, weil sie dazu von ihrem verehrten Kaiser, dem
Mikado, angewiesen worden waren.
Nun
träumen einige Leute in Washington von einem irakischen Mikado, von jemandem
aus der haschemitischen Dynastie, die den Irak bis 1958 regierte, als der letzte
König ermordet wurde. Warum nicht ein anderes Familienmitglied auf den Thron
setzen, irgendeinen Verwandten des jordanischen Königs, oder sogar daran
denken, den Irak und Jordanien unter einer Krone zu vereinigen?
Das
ist ein grandioser, die Welt umfassender, doch einfacher und logischer Entwurf.
Woran erinnert er mich nur? Tatsächlich kommt er mir irgendwie bekannt vor. In
den frühen 80er Jahren hörte ich von verschiedenen Plänen wie diesem von
Ariel Scharon. Sein Kopf war voll von großen Entwürfen, um den Nahen Osten neu
zu strukturieren: der Schaffung einer israelischen »Sicherheitszone« von
Pakistan bis Zentralafrika, das Stürzen von Regierungen und das Einsetzen von
anderen Regierungen an ihrer Stelle,dem Abtransport eines ganzes Volk – der
Palästinenser – usw.
Scharons
Entwürfe sind, wie wir wissen, fehlgeschlagen. Die kühnen Flüge der Phantasie
und der oberflächlichen Logik halfen nicht – Scharon versteht die realen Strömungen
der Geschichte einfach nicht. Ich fürchte, die Bande um Bush, Cheney, Rumsfeld,
Rice, Wolfowitz, Pearl und all die andern kleinen Scharons leiden alle am selben
Syndrom. Der Irak ist nicht Japan, und die Irakis werden keinem von Amerikanern
eingeführten Mikado gehorchen, wie sie jetzt einem lokalen nationalistischen
Diktator gehorchen. Der islamische Fundamentalismus ist kein leicht zu zähmendes
Tier. Hundert Millionen zorniger Menschen in der ganzen arabischen und
muslimischen Welt sind eine große Gefahr sogar für eine mächtige Militärmacht.
Scharon
mag davon überzeugt sein, daß er der große Gewinner eines solchen
amerikanischen Deals sein wird, auch wenn uns die Geschichte zeigen wird, daß
er ein historisches Desaster über uns gebracht hat. Es mag ihm vielleicht
gelingen, die folgende Anarchie auszunützen, indem er die Palästinenser aus
dem Lande treibt. Aber innerhalb weniger Jahre wird sich Israel innerhalb eines
neuen Nahen Ostens vorfinden – und nicht in einem, von dem Schimon Peres
faselt. Eine haßerfüllte Region, die nur noch von Rache träumt und die von
religiösem und nationalistischem Fanatismus getrieben wird, wird es sein. Und
am Ende werden die Amerikaner ihre Sachen packen und nach Hause gehen. Wir aber
werden alleine hier zurückbleiben.
(Übersetzung
aus dem Englischen: Ellen Rohlfs)
aus: Junge Welt,
12.09.02, online-Ausgabe
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