Wegen einer Erkrankung des Kanzlers
spricht allerdings Verteidigungsminister Peter Struck in seinem
Namen. Schröder legt seiner Rede, deren Manuskript der Süddeutschen
Zeitung vorliegt, eine für diplomatische Verhältnisse ungewöhnlich
kritische Bestandsaufnahme zugrunde.
Zwar bleibe eine enge transatlantische Bindung im europäischen
und amerikanischen Interesse. „Aber bei der Umsetzung dieses
Grundsatzes in praktische Politik kann nicht die Vergangenheit der
Bezugspunkt sein, wie das so oft in transatlantischen Treueschwüren
der Fall ist“, so Schröder.
Die Realität der internationalen Herausforderungen habe sich verändert.
Darüber habe es zuletzt „Missverständnisse, Belastungen,
Misstrauen, gar Spannungen über den Atlantik hinweg“ gegeben.
Dies sei darauf zurückzuführen, „dass die Anpassung an eine
veränderte Realität noch nicht hinreichend vollzogen ist“.
Herausforderungen „jenseits der alten Beistandszone“
Kritisch äußert sich Schröder auch zum
Zustand der Nato. Die strategischen Herausforderungen lägen heute
„sämtlich jenseits der alten Beistandszone des
Nordatlantik-Paktes“. Und sie erforderten „primär keine militärischen
Antworten“.
Dem sei jedoch innerhalb des Bündnisses noch nicht genügend
Rechnung getragen worden. Die Nato sei „nicht mehr der primäre
Ort, an dem die transatlantischen Partner ihre strategischen
Vorstellungen konsultieren und koordinieren“.
Dasselbe gelte auch für den Dialog zwischen den USA und der Europäischen
Union, „der in seiner heutigen Form weder dem wachsenden Gewicht
der Union noch den neuen Anforderungen transatlantischer
Zusammenarbeit entspricht“.
In diesem Zusammenhang nimmt Schröder für Deutschland eine
gewachsene Bedeutung in der Weltpolitik in Anspruch. „Auch mein
Land hat das Verständnis seiner internationalen Rolle verändert.“
Deutschland sehe sich im europäischen Verbund als
mitverantwortlich für internationale Stabilität.
„Aus der Mitverantwortung folgt auch Mitsprache“
Deshalb engagiere es sich in zahlreichen
Krisenregionen der Welt. „Aber aus der Mitverantwortung folgt
auch Mitsprache.“ Daraus ergebe sich der Wunsch Deutschlands
nach einem ständigen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten
Nationen.
Schröder schlägt in seiner Rede die Einrichtung eines
hochrangigen Gremiums unabhängiger Persönlichkeiten von beiden
Seiten des Atlantiks vor, vergleichbar der von UN-Generalsekretär
Kofi Annan eingerichteten Arbeitsgruppe für eine Reform der UN.
Diese Expertengruppe soll nach den Vorstellungen Schröders den
Staats- und Regierungschefs von Nato und Europäischer Union bis
Anfang 2006 einen Bericht vorlegen.
Zuviel Armut
Die Sicherheitskonferenz wurde am
Freitagabend mit einem Essen und einer Rede von Bundespräsident
Horst Köhler eröffnet. Köhler forderte laut vorab verbreitetem
Text eindringlich zur weltweiten Armutsbekämpfung auf.
„Entwicklungspolitik ist die beste Konfliktprävention“, heißt
es in dem Text.
Er lasse darum nicht locker in seinem Appell an die Industrieländer,
auch an Deutschland, 0,7 Prozent ihres Bruttosozialproduktes für
Entwicklungshilfe aufzuwenden. „Dazu haben sie sich schon vor über
30 Jahren verpflichtet. Zwischen Anspruch und Wirklichkeit klafft
eine Lücke von fast 100 Milliarden Dollar pro Jahr.“
Kurz vor Konferenz-Beginn hatte überraschend der amerikanische
Verteidigungsminister Donald Rumsfeld seine Teilnahme zugesagt.
Rumsfeld hatte zunächst erklärt, nicht nach München kommen zu
wollen. Als Grund hatte er eine in Deutschland erstattete Anzeige
wegen Foltervorwürfen im Irak angeführt. Generalbundesanwalt Kay
Nehm hatte jedoch am Donnerstag erklärt, er werde keine
Ermittlungen aufnehmen.
(SZ vom 12.02.2005)