Wenn
es stimmt, dass positive Energien, die an einer Stelle konzentriert sind, sich
gegenseitig verstärken, dann müsste Bagdad in diesen Tagen ein ungeheuer
positives Spannungsfeld des Friedens sein. Das "Böse", in Gestalt der
US-Armee, könnte demnach kaum mühelos bis hierher vordringen. So oder ähnlich
sehen es vielleicht einige der Friedensaktivisten, für die die irakische
Hauptstadt zu einem neuen Wallfahrtsort geworden ist.
Foto-Serie Friedensaktivisten im Irak
Aus 32 Ländern aller Kontinente
Mit bunten Tüchern, Gitarren und Baseballkappen bieten die bunten Haufen ein für
hiesige Verhältnisse ungewöhnliches Bild. Den meisten scheint dennoch die große
Gefahr durchaus bewusst zu sein, in die sie sich wissentlich begeben. Aus 32 Ländern
aller Kontinente, von Japan über Südkorea, Australien, Argentinien, Russland
und Südafrika, Mexiko, USA und aus Europa sind Menschen gekommen, um gegen den
drohenden Irak-Krieg zu protestieren.
Menschliche Schutzschilde in Bagdad
Wie viele "Schutzschilde" und Friedensaktivisten in Bagdad sind, ist
allerdings nicht in Erfahrung zu bringen. Ein ständiges Kommen und Gehen
bereitet auch den Mitarbeitern der "Organisation für Freundschaft, Frieden
und Solidarität" einiges Kopfzerbrechen. "Meine Familie kennt mich
schon nicht mehr," seufzt Herr Tarih, der seit Monaten fast rund um die Uhr
internationale Delegationen und Friedensaktivisten betreut.
Journalisten auf der Jagd
Neben Studenten, Hausfrauen, pensionierten Lehrern und Krankenschwestern haben
sich auch Journalisten unter die "Schutzschilde" gemischt, um ihren
eigenen Interessen nachzugehen. "Bagdad in den letzten Tagen vor dem
Krieg", was für eine Story! Den Irakern bleibt das nicht verborgen, doch
sie tragen es mit Fassung. Nach und nach werden diejenigen, die sich nicht am
Schutz der zivilen Infrastruktur beteiligen wollen, nachdrücklich um Ausreise
ersucht.
Keine Unterstützung von irakischer Seite
Zu denen, die das Land verlassen mussten, gehört auch eine Gruppe um Ken
O'Keefe, einem ehemaligen US-Marine und Veteran des Golfkrieges 1991. Warum ist
nicht bekannt. O'Keefe gilt als Gründer der "Human Shield" Bewegung
in den USA. Über sein Leben gibt, nicht frei von Eitelkeit, ein umfangreicher
Internetauftritt Auskunft. Für seinen Wunsch, "Schutzschilde" auch in
Krankenhäusern, Universitäten, Schulen und archäologischen Stätten
einzuquartieren, erhielt er von der irakischen Seite jedoch keine Unterstützung.
Friedensaktivisten - militärstrategisch
missbraucht?
Schulen und Universitäten seien während des Krieges geschlossen, erläuterte
Dr. Al Hashimi von der "Organisation für Freundschaft, Frieden und
Solidarität" die Ablehnung. "Menschliche Schutzschilde" in
Krankenhäusern seien hinderlich für die ohnehin sehr belastete Arbeit dort.
Elektrizitäts- und Wasserwerke jedoch jedoch der gesamten Bevölkerung zu gute,
ebenso Ölraffinerien und Lagerhäuser für Lebensmittel. Dort sei ihr Einsatz
von Nutzen. Immerhin können nun "Schutzschilde" zumindest tagsüber
in den Krankenhäusern bleiben. Werden die "Schutzschilde" von der
irakischen Regierung militärstrategisch benutzt? Jürgen N., "menschliches
Schutzschild" aus Tübingen, sieht das nicht so. Er hat sich für die Ölraffinerie
Al Dora entschieden, wo er sich seit 10 Tagen Nacht für Nacht aufhält. Davor
war er in einem Wasserwerk, wo es aber wegen Überfüllung mit
"Schutzschilden" zu eng geworden war. Fortsetzung
...
Andere Gruppen wie "Voices in the Wilderness" (Stimmen in der Wildnis), die "Internationalen Friedensbrigaden" aus Spanien, eine Delegation des Europäischen Sozialforums oder Buddhistische Mönche arbeiten eher im Stillen. "Voices in the Wilderness" mit Sitz in Chicago, ist seit September 2002 mit dem "Irakischen Friedensteam" (IPT) vor Ort. Mit dabei sind Mitglieder der "US Veterans for Peace", die im Vietnamkrieg gekämpft haben.
Den Irakern ein Gesicht geben
"Voices", wie sie sich selber kurz nennen, haben seit 1992 Dutzende
von Delegationen in den Irak organisiert, um auf die furchtbaren Folgen des
strengen UN-Embargos hinzuweisen. "Wir sind keine "menschlichen
Schutzschilde", erklärt Michael Birmingham, Mitglied von "Voices"
aus dem irischen Dublin mit Nachdruck. "Wir wollen den Irakern ein Gesicht
geben, berichten, wie sie leben und denken." Im Falle eines Krieges will
Michael an der Seite der irakischen Bevölkerung sein. Doch ob das möglich sein
werde, wisse er auch nicht.
Delegationen aus Hiroshima
Friedensaktivisten aus asiatischen Ländern bringen ihre eigene Art des
Protestes mit nach Bagdad. Mit Trommeln und meditativem Gesang ziehen
buddhistische Mönche durch die Stadt. Ihr Friedensmarsch von Samarra nach
Bagdad aber musste "aus Sicherheitsgründen" abgesagt werden. Schon zu
Beginn des Jahres waren Delegationen aus dem japanischen Hiroshima da, darunter
auch Nachfahren der Opfer, die beim Atombombenabwurf der USA 1945 starben. Mit
farbenfroher Kleidung, Tänzen und einem Friedensgebet setzten sie am Oberlauf
des Tigris bunte Fackeln ins Wasser, die langsam stromabwärts zogen.
Irakische Schutzschilde für Deutschland
Den meisten Irakern sind solche Formen des friedlichen Protestes fremd.
Freundlich begrüßen sie zwar diese "Freunde des Irak", doch für sie
selbst käme das nicht in Frage. "Natürlich werde ich Soldat," sagt
Tarik, ein Taxifahrer im Brustton der Überzeugung. "Wenn mein Land
angegriffen wird, muss ich es verteidigen." Nach einer kurzen Pause fügt
er dann höflich hinzu: "Wir können ja als "Schutzschilde" nach
Berlin oder München gehen, wenn die Amerikaner Deutschland angreifen
sollten."