Bush und das Ausmaß der Desinformation
Von Christian Kreutzer
Ist der Grad einer Irreführung mathematisch messbar? Der demokratische
US-Senator Henry Waxman hat dies nun, ein Jahr nach Beginn der Operation "Iraqi
Freedom", auf einfache Weise versucht. Bienenfleißig durchsuchten
Mitarbeiter des demokratischen Reform-Komitees über Wochen hinweg Reden,
Interviews und Statements der mächtigsten Männer und Frauen der Bush-Regierung
auf Irreführungen oder gar Lügen.
237 Irreführungen bei 125 Auftritten
Das Ergebnis, das auf Waxmans Homepage (www.house.gov/reform/min/) nachzulesen
ist: 237 mal haben Präsident George W. Bush und andere Top-Leute, darunter
Vizepräsident Dick Cheney, Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, Außenminister
Colin Powell und Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice, bei 125 verschiedenen
Auftritten irreführende oder unwahre Angaben gemacht.
Sichere Erkenntnisse vorgegaukelt
Die meisten Statements fielen dabei in die Kategorie irreführende Angaben.
Zumeist betrafen sie die Behauptung, der Irak besitze Massenvernichtungswaffen.
Hier, so das Komitee, seien sichere Erkenntnisse vorgegaukelt worden, wo es in
Wirklichkeit nur vage Vermutungen gab. Die meisten Äußerungen, genauer gesagt
161, seien vor dem Kriegsbeginn am 20. März 2003 gefallen. Zehn Aussagen seien
komplett falsch gewesen.
ABC-Waffen schon seit Jahren vernichtet?
Für viele Menschen kommen diese Ergebnisse keineswegs überraschend: Die Art
und Weise, in der die Bush-Regierung fragwürdige Angaben zur Kriegsbegründung
einsetzte, hat in vielen Ländern den Eindruck hinterlassen, die Welt sei mehr
oder weniger bewusst belogen worden. So bei den viel beschworenen ABC-Waffen
Saddams, von denen bis jetzt keine gefunden wurden und von denen UN-Experten
glauben, dass es sie schon lange nicht mehr gibt.
Irrtum oder Lüge?
So auch bei Bushs Behauptung, Saddam habe versucht, Atomwaffen im Niger zu
kaufen - einer Behauptung, die nun schwerer auf der Glaubwürdigkeit des Präsidenten
lastet als viele andere:
Bereits Monate zuvor war US-Diplomat und Afrika-Kenner Joseph Wilson im
Auftrag der CIA in Niger dem Gerücht des britischen Geheimdienstes nachgegangen
und hatte es praktisch eindeutig als Falschmeldung entlarvt. Nur wenige glauben
nun Bushs Behauptung, er habe von Wilsons Ergebnissen nichts gewusst.
Wie glaubwürdig ist Kerry?
"Rücksichtslos und arrogant" sei die US-Politik unter Bush, schimpft
der demokratische Präsidentschaftskandidat John Kerry immer wieder. Der Präsident
habe ihn, Kerry - der seinerzeit für Bushs Ermächtigung zum Irak-Krieg stimmte
- und mit ihm das ganze Land irregeführt. Dabei fällt es vielen gleichermaßen
schwer, zu glauben, dass Kerry jetzt erst von all dem erfahren hat und praktisch
aus allen Wolken fällt.
USA in muslimischen Ländern "unten durch"
Die Sache stellt sich knapp 365 Tage nach Kriegsbeginn aber wesentlich ernster
dar: Den eigentlichen Glaubwürdigkeitsschaden hat der Irak-Feldzug nämlich in
islamischen Ländern angerichtet - also da, wo der Terrorismus ausgeheckt und
exportiert wird, und wo ihm eigentlich das Wasser abgegraben werden sollte. Das
belegt eine neue Umfrage des renommierten Washingtoner
Meinungsforschungsinstituts "Pew Research Center".
"Krieg ums Öl"
So glaubt die Mehrheit der Befragten in Jordanien, Marokko, Pakistan und der Türkei,
dei USA führten den gesamten Krieg gegen Terror ausschließlich, um die Ölquellen
im Nahen Osten und ferner um die Kontrolle des ganzen Globus. Gleichzeitig
messen die Forscher in den genannten Ländern einen Besorgnis erregenden Grad an
Beliebheit von El-Kaida-Chef Osama bin Laden.
"UBL" allseits beliebt
So sehen rund zwei Drittel aller Pakistaner den Terroristenführer positiv. In
Jordanien sind mehr als die Hälfte aller Einwohner, in Marokko knapp die Hälfte
der gleichen Meinung. Besonders alarmierend ist an diesen Ergebnissen, dass die
genannten Länder allesamt als treue Verbündete der USA gelten.
Europäer wünschen sich mächtige EU
Ähnlich groß ist das Misstrauen gegenüber den amerikanischen Kriegszielen der
Umfrage zufolge auch in Europa. So glauben mindestens zwei Drittel aller
Deutschen, Franzosen, aber auch aller Türken und Russen, dass es das Beste wäre,
die Europäische Union würde ähnlich mächtig werden wie die USA, um ein
weltpolitisches Gegengewicht zu bilden.