Die Kaninchen vor der terroristischen Schlange
In den Vereinigten Staaten wandelt sich der Begriff
"Sicherheit" zum Euphemismus für die neue Ausschau nach
unamerikinischen Umtrieben
Süddeutsche Zeitung vom
9.2.02
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Als Norman Mailer dem Londoner Daily
Telegraph vergangenen Mittwoch ein Interview gab, sagte der 79jährige:
"Die Rechte hat vom 11. September immens profitiert. Wäre ich immer noch
ein Verschwörungstheoretiker, würde ich glauben, dass sie es selbst war."
So deutlich wagt in Amerika derzeit kaum jemand Kritik, obwohl die Liste der Übergriffe
gegen Menschen‑ und Bürgerrechte immer länger wird. Zu jeder neuen Maßnahme
wird das neue politische Mantra gebetet, das da lautet: Security. Innen- und
weltpolitische Sicherheit.
Die Bevölkerung steht
mehrheitlich hinter der harten Linie ihrer Regierung. Laut einer Umfrage, die
das Gallup Institute Ende Januar veröffentlichte, befürworten 53 Prozent die
Aburteilung von Terroristen vor Militärtribunalen. 77 Prozent würden
akzeptieren, wenn Terroristen ganz einfach umgebracht würden. Immerhin 52
Prozent sähen kein Problem darin, auch Staatsoberhäupter zu ermorden, wenn
deren Länder Terroristen beherbergen. Das Druckmittel Folter würden 45 Prozent
aller Befragten billigen, den Einsatz von nuklearen Waffen gegen den Terror
immerhin noch 34 Prozent. Und 49 Prozent sprechen sich dafür aus, dass Araber
und arabischstämmige Amerikaner ab sofort einen Sonderausweis mit sich führen
sollten. Doch auch wenn es um die eigenen Rechte geht, sind die USA bereit, dem
Krieg gegen den Terror Opfer zu bringen. Direkt nach den Anschlägen waren zwei
Drittel der Amerikaner bereit, ihre Bürgerrechte für die innere Sicherheit
aufzugeben, vier Monate später sind es noch immer 47 Prozent.
In der Praxis beschränken sich die Übergriffe längst nicht mehr auf verdächtige Araber. Fast jeder Amerikaner hatte schon eine Begegnung mit der neuen Staatsgewalt. Manche Beschneidung der Bürgerrechte erscheint im ersten Moment nur als banale Unannehmlichkeit.
Die Metalldetektoren in den
Eingangshallen der Konzernzentralen mag man noch hinnehmen, die strengen
Kontrollen am Flughafen sogar begrüßen. Es murrte auch niemand, als die
Football Fans letzten Sonntag gebeten wurden, sich schon fünf Stunden vor
Beginn des Super-Bowl-Endspieles vor dem Stadion einzufinden.
Hinter mancher Bagatelle verbirgt sich allerdings schon ein Verstoß gegen das Verfassungsrecht. Da wollte die Grafikerin Katherine Forrester zum Demonstrationszug gegen das World Economic Forum. Doch eine halbe Stunde nach Beginn war der Weg zur Marschroute mit Barrikaden der Polizei versperrt. Nein, sagte ein Beamter, da könne sie jetzt nicht mehr durch. "Was soll das Demonstrationsrecht für einen Sinn machen, wenn man nicht zur Demonstration gehen kann?", fragte sie. Die barsche Antwort des Ordnungshüters: "Das ist nur für ihre und unser aller Sicherheit."
Beim Schutz vor Terror hat auch die Pressefreiheit hintanzustehen. Eine Anfrage bei der New Yorker Polizei, welche Behörde denn für die Sicherheit des Luftraumes über der Stadt zuständig sei, wird entrüstet abgeschmettert, man könne ja wohl "keine Auskunft über Sicherheitsfragen" geben. Mit der gleichen Begründung verweigerte die Transportation Security Administration einem Reporter der Washington Post die Auskunft über das neue Datenerfassungssystem, das die Regierung derzeit in Zusammenarbeit mit den Fluglinien entwickelt. Dabei soll das internationale System der Flugreservierungen mit einer Datenbank zusammengeschlossen werden, in der über jeden, der jemals eine Flugreise unternimmt, unzählige Details gespeichert werden. Von Zahlungsgepflogenheiten, Kreditkarten- und Versicherungsnummern bis zu Begleitern und Reisezielen soll dort alles über Jahre hinweg zu einem Persönlichkeitsbild zusammengefügt werden. Wehe dem, der in diesem System als verdächtige Person geführt wird. So kämpft das Vorstandsmitglied der Grünen Partei Amerikas, Nancy Oden, darum, nicht als Person des "Widerstands gegen Sicherheitspersonal" gespeichert zu sein, nachdem das FBI sie wegen einer kritischen Zeitungskolumne auf die Liste verdächtiger Fluggäste gesetzt hatte und sie am Flughafen gegen den Übergriff eines National‑Guard Soldaten protestiert hatte. Denn das käme einem lebenslangen Flugverbot gleich.
Die amerikanische Zeitschrift
The Progressive führt über
den Missbrauch des Sicherheitsdenkens im Dienste des Patriotismus Buch.
Chefredakteur Matthew Rothschild beschrieb die Lage der amerikanischen
Innenpolitik in der Titelgeschichte der Januarausgabe als "The New
McCarthyism” Die Anekdoten, die seine Redaktion zusammengetragen hat, erinnern
wahrhaftig an die Kommunistenhatz
der 50er Jahre. Auch damals war
die Nation in Panik, befürchtete
plötzliche Angriffe und eine internationale Verschwörung.
Das FBI hat das damalige Schlagwort der "unamerikanischen Umtriebe" jetzt wieder ausgegraben. Die Kunstgalerie Chashama am New Yorker Times Square erhielt Besuch von sieben FBI‑Agenten, die "einer Beschwerde wegen einer höchst unamerikanischen Flagge" nachgingen. Die Systemkritiker der Organisation Adbusters hatten ein Plakat ihr "Corporate Flag" vor der Galerie aufgehängt, einer amerikanischen Flagge, bei der die Sterne durch Konzernsymbole ersetzt wurden. Unter den Globalisierungskritikern gehört diese Flagge längst zu den Ikonen des Protests. Für die FBI Männer war sie der Beweis für verdächtige Subversion.
Als Daniel Muller von der
Friedensorganisation "Voices in the Wildernes" bei einem Postamt in
Chicago 4000 Briefmarken für eine Aussendung kaufen wollte, bat er darum, nicht
die derzeit so populären Patriotenmarken mit der amer ikanischen Flagge und dem
Slogan " United We Stand" zu bekommen. Die Postbeamtin bat ihn
daraufhin, kurz zu warten. Nach zwanzig Minuten tauchten zwei Polizisten auf,
die Ausweise verlangte nach eventuell ausstehenden Haftbefehlen fragten und sich
erkundigten, wo der Grund für die unpatriotische Motivwahl sei. Als er am nächsten
Tag zurückkehrte und die bestellten Marken bar bezahlen wollte, wurde er
nochmals eine halbe Stunde lang von einem Inspektor der Post verhört, der es verdächtig fand, dass Muller so
viele Marken nicht mit d Kreditkarte verrechnet.
Kaum jemand regt sich über solche Vorfälle auf. "Der Begriff Terrorismus, erzürnt sich eine führende Bürgerrechtaktivistin, "hat inzwischen den gleichen Effekt, wie 'Kommunismus' in den 50ern. Die Leute erstarren und sind bereit, jede Freiheit zu opfern." Mit solcher Empörung steht man allerdings ziemlich allein. Wie man das aktuelle Vorgehen findet, wollten Demoskopen von der Bevölkerung wissen. 60 Prozent der Befragten sind mit der neuen Beschneidung der Bürgerrechte einverstanden. Fast ein Drittel glaubt, man müsse eigentlich noch härter durchgreifen. Nur 10 Prozent finden, dass die Regierung zu weit gegangen ist.
Andrian Kreye